Beim Thema Digitalisierung ist Deutschland nur Mittelfeld und hinkt anderen Ländern im weltweiten Vergleich deutlich hinterher. Warum ist das so, wo wir doch die größte Industrienation Europas sind und schon bedeutende Größen und Erfinder wie Robert Bosch, Gottlieb Daimler, Otto Lilienthal oder Nicolaus Otto hervorgebracht haben? Wo unsere Landsleute aus den letzten ein oder zwei Jahrhunderten einfach gemacht und ausprobiert haben und oftmals durch Zufall eine großartige Entdeckung gemacht haben, wird heute erst einmal kräftig und ausgiebig diskutiert. Für und Wider wird sorgfältig abgewogen, zu groß ist die Angst Fehler zu machen und dafür kritisiert zu werden. Und man möchte es allen recht machen und keinen vor den Kopf stoßen. Sind Entscheidungen zu kompliziert oder zu langwierig, werden sie einfach vertagt. Durch diese Einstellung und Denkweise sind andere Nationen in Sachen Digitalisierung ruckzuck an Deutschland vorbeigezogen. Wo andere Länder innerhalb ein paar Jahren große Digitalisierungsunternehmen aus dem Nichts erschaffen und ihre große Vision verwirklichen, haben manche Regionen in Deutschland noch nicht einmal vernünftiges Internet. Und auch sonst stehen Viele aus der Politik und den Chefetagen der Digitalisierung skeptisch gegenüber. Ein Zustand, der sich dringend ändern müsste. Aber wir tun uns damit schwer. Wenn da nicht ein kleines Virus um die Ecke gekommen wäre und den Digitalisierungs-Turbo in Deutschland gezündet hätte.
Digitalisierung kurz erklärt
Beim Prozess der Digitalisierung werden analoge Strukturen, Prozesse und Formate digitalisiert. Ein bekanntes Beispiel ist die Entwicklung von der Analogfotografie zur Digitalfotografie. Während bei ersterem noch ein Film in den Fotoapparat eingelegt und die Bilder richtig entwickelt werden mussten, sind die Bilder bei der Digitalfotografie sofort entweder im Display der Kamera oder auf dem Computerbildschirm verfüg- und ausdruckbar. Weitere Beispiele für Digitalisierungsprozesse sind:
- Kommunikation ist nicht nur über Telefon und Brief möglich, sondern über E-Mails und Nachrichten-Dienste wie WhatsApp und Soziale Netzwerke
- Papierakten werden gescannt und digital gespeichert und zugänglich gemacht
- Ein stationäres Geschäft wird durch einen eigenen Online-Shop ergänzt bzw. erweitert
- Bezahlen ist nicht nur mit Bargeld möglich, sondern auch mit Kreditkarte, App oder Online-Dienst wie Paypal
- Weiterbildungen und Kurse müssen nicht mehr von allen Teilnehmern an einem zentralen Ort zur gleichen Zeit besucht werden, sondern per Online-Schulungen und -Videos kann jeder selbst den Ort und manchmal auch den Zeitpunkt bestimmen
Digitalisierungsturbo durch Corona
Mitten in die doch etwas starren Strukturen von Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen crashte plötzlich ohne große Vorankündigung ein kleiner aber verheerender und hartnäckiger Virus namens Corona und stellte die Chefetagen vor ungeahnte Probleme und Herausforderungen. Mindestabstände mussten eingehalten werden und der Rat der Regierung lautete, nur vor die Tür zu gehen, wenn es unbedingt sein musste. Schulen wurden geschlossen, Behörden für Kundenverkehr gesperrt und auch Unternehmen konnten die Anforderungen nicht ohne weiteres umsetzen. Von heute auf morgen musste ein Umdenken stattfinden und es musste schnell gehandelt werden, um das wirtschaftliche und gesellschaftliche Fiasko einigermaßen abfangen zu können. Das zog maßgebliche Veränderungen mit sich und hat der Digitalisierung in Deutschland einen wahren Turbo verpasst.
Homeoffice
Plötzlich durften viele Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten. Entscheidungen wurden schneller gefällt, die Skepsis wurde abgelegt und schnell die nötige Infrastruktur geschaffen. Dies konnte nur gelingen, indem Unternehmen digitaler wurden und einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung wagten. Die Umsetzung zum Homeoffice klappte zwar mehr oder weniger gut, aber immerhin war ein erster Schritt in die richtige Richtung getan und Chefs zeigten einen guten Willen. In den meisten Fällen zeigte sich auch, dass die Sorgen und Skepsis der Chefetagen unbegründet waren, denn die Arbeitnehmer arbeiteten im Homeoffice ohne Aufsicht mindestens genauso gründlich, zuverlässig und produktiv wie im Büro. Wie wichtig dieser Schritt und auch diese Option für Arbeitnehmer ist, zeigt sich auch in dem Vorsatz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD, das „Recht auf Homeoffice“ bis zum Herbst zum Gesetz zu machen, das vor allem nach der Corona-Krise Bestand haben soll.
Virtueller Meetingraum
Auf einmal war es auch möglich, dass Besprechungen und Meetings auf digitaler Ebene abgehalten werden konnten. Durch Video-Konferenztools konnten sich Geschäftspartner und Kollegen in einem virtuellen Raum treffen, sich besprechen und Entscheidungen fällen – fast so, als ob sie gemeinsam in einem realen Raum sitzen würden. Virtuelle Meetings haben nicht nur den Vorteil, dass Abstände und Social Distancing in Corona-Zeiten eingehalten werden können, sondern es erspart Geschäftspartnern auch zum Teil lange Reisen mit der Bahn oder dem Flugzeug. Mögliche Übernachtungen werden ebenfalls eingespart und somit kann ein Unternehmen auf diesem Wege schnell und einfach Reisekosten einsparen.
Bildungseinrichtungen
Plötzlich werden auch Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen digital oder wagen zumindest erste Versuche. Schulen blieben wegen Corona mehrere Wochen geschlossen, der Schulstoff sollte aber dennoch vermittelt werden. Aufgabenstellungen wurden per E-Mail verschickt oder in eine App geladen, auf die die Schüler dann zugreifen können. Lehrkräfte machen eigenständig Videos und erklären wichtigen Lernstoff oder sie bieten Video-Sprechstunden für Schüler an, die Fragen haben. Außerdem wird vermehrt auf gute Youtube-Videos verwiesen, die von ambitionierten Nachhilfelehrern hochgeladen wurden. Etwas, das vor einem halben Jahr undenkbar gewesen wäre. Selbst Prüfungen können online abgelegt werden. Digitale Medien und das Arbeiten mit diesen hält im schulischen Bereich zwar immer mehr Einzug, dennoch hat auch hier die Digitalisierung dank Corona einen gewaltigen Schub bekommen.
Medizin
Eine Branche, die ein bisschen mehr Digitalisierung bitter nötig hat, ist die Medizin. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Gesundheitsämter Informationen, Auswertungen und Daten zu Corona-Infektionen in den meisten Fällen immer noch per Fax an das Robert-Koch-Institut sendeten. Im RKI wurden diese Daten dann noch von Hand abgetippt. Dies ist zwar kaum zu glauben, aber leider wahr. Dies zeigt wie wichtig gerade in diesem Bereich die Digitalisierung wäre. Lange ist auch schon eine elektronische Gesundheitskarte, auf der alle wichtigen Informationen gespeichert sind, in der Diskussion. Dazu durchringen konnte sich aber bis jetzt niemand. Zu groß sind die Bedenken insbesondere was den Datenschutz betrifft. Dass man hiermit wertvolle Zeit einsparen und unter Umständen vielleicht sogar das ein oder andere Leben retten könnte, scheint völlig in den Hintergrund zu treten. Dennoch gab es auch in der Medizin während der Corona-Hochphase die eine oder andere positive Entwicklung. Krankmeldungen konnten plötzlich nur nach telefonischer Rücksprache ausgestellt werden, ohne dass der Patient persönlich in der Praxis erscheinen musste. Dies wurde leider mittlerweile wieder revidiert, obwohl einige Ärzte sagen, dass sie eigentlich Patienten mit Erkältungs-, Grippe- oder Magendarmsymptomen gar nicht in ihrer Praxis haben möchten. Hier würde eine Beratung und Beurteilung per Video völlig ausreichen. Bislang standen Datenschützer und der Gesetzgeber reinen Video-Sprechstunden im Wege, doch immerhin wurde jüngst das Erstbehandlungsverbot per Videoanruf und die Obergrenze für Video-Sprechstunden aufgehoben. Dennoch wird die Telemedizin, wie die kontaktlose, ärztliche Beratung via Video auch genannt wird, momentan noch von den Krankenkassen gebremst, denn diese erstatten bisher nur für Privatpatienten solche Termine.
Immobilien-Branche
Die Immobilien-Branche musste sich in den letzten Jahren wahrlich keine Sorgen machen und dementsprechend gab es hier auch wenig Innovation und Veränderung. Nur die Preise für Miet- und Kaufobjekte stiegen stetig nach oben und das ganz von allein. Auch die Nachfrage war so hoch, dass Objekte meist ohne großen Aufwand und Mühe innerhalb kürzester Zeit vermittelt werden konnten. Mit Corona stand nun auch diese Branche vor einem Problem, denn Besichtigungen waren untersagt und ganz besonders die in Großstädten üblichen Massenbesichtigungen. Was nur wenige wussten, für Mieter und Vermieter gibt es sogenannte Matching-Tools. Ein Algorithmus sucht unter hunderten von Mietern passende Vermieter aus und reduziert somit die Anzahl der Besichtigungen deutlich. Während der Ausgangsbeschränkungen konnten diese Tools steigende Zugriffs- und Nutzungszahlen verbuchen. Manche Vermieter oder Makler sind auch auf Online-Besichtigungen umgestiegen. Dabei werden Interessierte per Video-Stream Raum für Raum durch die Wohnung oder das Haus geführt. Diese Möglichkeit der Besichtigung scheint sehr beliebt zu sein, da Anbieter von Online-Besichtigungen laut Immoscout doppelt so viele Anfragen erhalten wie Anbieter, die keine Online-Besichtigungen ermöglichen.
Kontaktloses Bezahlen
Wir Deutschen halten an unserem Bargeld fest und gelten als Bargeldland. Rund 50 % unserer Einkäufe bezahlen wir immer noch mit Scheinen und Münzen. Digitale Bezahlmethoden setzen sich hier nur schleppend durch. Auf der einen Seite bieten Händler gar nicht erst die Möglichkeit, bargeldlos zu bezahlen, da für sie durch Kartenzahlung zusätzliche Kosten entstehen, auf der anderen Seite behalten wir gerne den Überblick über unsere Ausgaben und Finanzen. Und dies gelingt mit Bargeld deutlich einfacher. Durch Corona hat sich dieser Trend allerdings geändert. An den Kassen wird höflichst gebeten, möglichst kontaktlos zu bezahlen, und die Deutschen zücken fleißig ihre Kredit- oder Bankkarte oder ihr Smartphone. Ob dieser Trend auch nach Corona beibehalten wird, bleibt allerdings abzuwarten.
Chancen durch Corona
Durch die Corona-Pandemie hat sich in Deutschland in den letzten Wochen einiges getan und wir sind in Sachen Digitalisierung einige deutliche Schritte weitergekommen. Das Corona-Virus ist also auch eine große Chance für uns, die wir ergreifen sollten. Sozusagen ein Wendepunkt für die Wirtschaft, aber auch für unsere Gesellschaft. Plötzlich waren wir in allen Branchen gezwungen, umzudenken, zu handeln und digitaler zu werden – um zu überleben. Wie wichtig Digitalisierung ist, hat sich in den letzten Wochen deutlich gezeigt. Online-Händler oder Lebensmittel-Lieferdienste haben satte Gewinne eingefahren, während manche Geschäfte des stationären Handels vor dem Aus stehen. Innovation, Fortschritt und Digitalisierung können einen großen Wettbewerbsvorteil bedeuten und gerade in Krisenzeiten die Rettung in der Not sein. Diese neuen Erkenntnisse und Chancen sollten wir nutzen. Jetzt gilt es, darin Erfahrungen zu sammeln, diese zu bewerten und ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, mit dem wir in eine sichere, erfolgreiche und digitale Zukunft starten können.